Stellungnahme des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern zur gegenwärtigen Situation geflüchteter ukrainischer Roma in Bayern
29/07/23
Den Landesverband erreichten in den letzten Wochen und Monaten weiterhin Meldungen über antiziganistische Vorkommnisse gegenüber geflüchteten ukrainischen Roma, die in Bayern Schutz vor dem russischen Angriffskrieg suchen. Bereits vor über einem Jahr hatte der Vorsitzende des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern, Erich Schneeberger, in einer Pressemitteilung die Gleichbehandlung geflüchteter Roma aus der Ukraine gefordert.
Berichte aus verschiedenen bayerischen Landkreisen bzw. Kommunen geben Anlass zur Sorge, dass es eine Ungleichbehandlung von geflüchteten ukrainischen Roma bzw. von Menschen, die als Roma wahrgenommen werden, gibt. Bis heute wird ihnen oft kein gleichberechtigter Zugang zu Wohnraum, zu Bildung, zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten und zum Arbeitsmarkt ermöglicht.
Verschärft hat sich die Problematik, dass als Roma gelesene Geflüchtete in einigen Landkreisen zusätzlich zu ihrem Passdokument weitere Nachweise zum Beleg ihrer ukrainischen Herkunft beibringen müssen. Die dem Landesverband vorliegenden Informationen weisen darauf hin, dass diese verschärfte Nachweispflicht häufig antiziganistisch begründet wird, indem auf das gängige Vorurteil der angeblichen Ausnutzung des Sozialsystems durch Roma zurückgegriffen wird. Oft wird auch pauschal unterstellt, dass ungarisch-sprachige Roma aus der West-Ukraine keine „echten“ Kriegsgeflüchteten seien. Die Anforderung weiterer Dokumente und die Konfrontation mit gängigen antiziganistischen Stereotypen stellt in der Praxis für viele geflüchtete Roma eine unüberwindbare Hürde dar. In der Folge bekommen geflüchtete Roma-Familien in Bayern dann keinen vorübergehenden Schutz nach § 24 Aufenthaltsgesetz und somit auch keinen Zugang zu Sozialleistungen.
Die gezielte zusätzliche Kontrolle von geflüchteten Roma und deren Folgen stellt aus Sicht des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern eine unmittelbare Diskriminierung dar, welche nicht mit unseren rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist.
Zudem besteht die Gefahr der mittelbaren Diskriminierung bzw. strukturellen Benachteiligung – immer dann, wenn allgemein gültige Auflagen geflüchtete Roma in besonderem Maße treffen, da diese bereits im Herkunftsland benachteiligt wurden.
Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern fordert deshalb die Gleichbehandlung aller Geflüchteten aus der Ukraine unter Berücksichtigung bestehender Diskriminierungen im Herkunftsland. Geflüchtete Roma müssen als besonders schutzwürdige Gruppe anerkannt werden, wie dies auch im Bericht der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ gefordert wird.
Landesverbandsvorsitzender Erich Schneeberger betont: „Deutschland hat eine historische Verantwortung gegenüber den ukrainischen Roma. Unter ihnen befinden sich viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden und einige wenige Überlebende des nationalsozialistischen Völkermordes. Gerade diesen Familien gegenüber sollte es eine Verpflichtung für Deutschland sein, sie zu unterstützen und sie – sollten sie dies wollen – in Deutschland aufzunehmen!“
Konkret fordert der Landesverband
- Den gleichberechtigten Zugang zu allen sozialen Gütern und Leistungen für alle Geflüchteten aus der Ukraine. Insbesondere der Zugang zu Aufenthaltstiteln, Sozialleistungen, Wohnraum, Bildung, Arbeit. Gesundheitsversorgung muss für alle Geflüchteten zur Verfügung stehen.
- Voraussetzung dafür ist die Schaffung einer möglichst diskriminierungsfreien Verwaltungspraxis sowie die Benennung von und Auseinandersetzung mit institutionellem Antiziganismus;
- Geeignete Beschwerdestrukturen sollten etabliert werden. Im Hilfeprozess beteiligte MitarbeiterInnen sollten sensibilisiert und geschult werden.
- zur Vermeidung struktureller Diskriminierung bedarf es der Berücksichtigung von herkunftsbedingter Diskriminierung. Verwaltungshandeln sollte dahingehend überprüft und angepasst werden.
Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern steht Ihnen für Fragen gerne zur Verfügung.
Sollten Sie von Diskriminierung betroffen sein – oder diskriminierende Äußerungen und Handlungen beobachten, können Sie dies unter:
unserer Melde- und Informationsstelle Antiziganismus in Bayern melden.
V.i.s.d.P.: E. Schneeberger c/o Verband Deutscher Sinti und Roma, LV Bayern, Nordring 98a, 90409 Nürnberg